Informationen zum ersten  "Hansathriller"

 

 

 

Sturz von der Giraffe

Der Roman war im Winter 2019 erschienen

und ist auf wenige, verstreute Exemplare

inzwischen vergriffen

 

 

 

 

 

Vorwort

 

 

 

Das Berliner Hansaviertel ist zum Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Nur wenige der historischen Häuser haben den Bombenkreg überstanden.

Im Rahmen der internationalen Bauausstellung 1957 wurde ein großer Teil der Fläche im Stil der Nachkriegsmoderne erbaut. Das Viertel dient als Hintergrund dieses fiktiven Kriminalromans. Auch wenn es hier zu einzelnen Wohnungs- und Kfz-Einbrüchen, Handtaschendiebstählen und Raubüberfällen kommt, so weist die Berliner Polizeistatistik für dieses Wohngebiet eine vergleichsweise geringe Kriminalitätsrate aus.

 

Als Gründungsmitglied des Bürgervereins Hansaviertel e. V. von 2004 habe ich mich mit diesem Gebiet, seinen Bewohnern und der Architektur intensiv beschäftigt. So habe ich Filmdokumentationen erstellt, Interviews mit den Einwohnern geführt und im Rahmen von Führungen Besuchern "meinen Kiez" gezeigt.

 

Es würde mich freuen, wenn ich Sie als Leserin oder Leser dieses Romans eines Tages im Hansaviertel oder iin einem der Restaurants oder Cafe´s begrüßen könnte.

 

Ihr Thilo Geisler

 

Im Winter 2019

 

 

Expose 

 

Sturz von der Giraffe

 

1935 war die jüdische Familie Rabau gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. Sie wanderte in das damalige Palästina aus. Die repräsentative Stadtvilla steht im Berliner Hansaviertel am (imaginären) Holsteiner Ufer 50 an der Spree. Das Gebäude gehört zu den wenigen Häusern, die die Bombenangriffe in dem Stadtteil fast unversehrt überstanden haben. 

Ein treues NSDAP-Mitglied konnte damals das Haus günstig erwerben. 

Das alliierte Kontrollrecht in Berlin machte es nach 1945 den ehemaligen Eigentümern bis in die 50iger Jahre möglich, ihre Häuser zum alten Verkaufspreis zurück zu erwerben. 

Die deutschen Eigentümer fürchteten, „Dass die Juden ihnen ihre Häuser wieder wegnehmen würden.“

1989 besucht der Israelische Staatsbürger Sahel Rabau die Stadt seiner Väter. Er lernt dabei das Model Veronika kennen und heiratet die schwangere Frau. Beide ziehen nach der Geburt von Zwillingen nach Israel.

2014, Sahel Rabau ist inzwischen verstorben. Veronika Rabau kommt zurück nach Berlin. Ihre Söhne leben inzwischen in der Stadt.

 

Der Enkel des verstorbenen Hauskäufers am Hansaufer fürchtet, dass ihm sein Erbe von der Familie Rabau fort genommen wird. 

 

In diesem Konfliktfeld scheinen Menschenleben von untergeordneter Bedeutung zu sein.

 

 

 

 

 

Eine Leseprobe aus dem ersten Kapitel

 

Der Sturz

 

Gesprungen oder geworfen?

 

Karl und Hermann, den beiden Freunden, war es zum lieb gewordenen Ritual geworden, sich unregelmäßig regelmäßig auf ein Gläschen zu treffen. Man hatte ihnen gerade ihren Merlot serviert, als es auf das Vordach der Giraffe knallte. Das Restaurant liegt im Erdgeschoss des gleichnamigen Hochhauses im Berliner Hansaviertel. Die beiden Freunde drehten sich reflexartig zum großen Panoramafenster. Sie sahen einen Kopf über die Kante des Vordachs rutschen. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit zerstört. Blutrote Bahnen flossen an der akkurat geputzten Scheibe hinab. Erschrocken und reflexartig legte Hermann eine Hand über sein Glas. Später sollte er seinem Freund erklären, dass ihm das geschätzte Getränk in dem Moment als besonders schützenswert erschienen war. Karl hingegen griff nach seinem Smartphone und wählte den Polizeiruf 110. Soweit er es erkennen konnte, war eine Erste Hilfe in diesem Fall eher sinnlos und von daher überhaupt nicht erforderlich. Mit dem Telefon am Ohr erhob er sich und ging hinaus. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis sich am anderen Ende eine sonore Stimme meldete:

„Polizeinotruf, bitte nennen Sie Ihren Namen und dann Ihr Anliegen.“

„Ich heiße Karl Hecht, stehe hier vor dem Restaurant Giraffe an der S-Bahnstation Tiergarten und vor mir baumelt ein frisch herabgestürzter Toter am Vorbau des Lokals. Warten Sie einen Moment bitte.“

Mit wenigen Schritten war er bei dem Menschen, der über den Rand des Vorbaus hing. Unter ihm hatte sich inzwischen eine große Blutlache gebildet. Der Kopf sah seltsam verdreht aus. Das eine sichtbare Auge starrte in eine leblose Unendlichkeit.

„Ich bin mir ziemlich sicher“, fuhr Karl fort, „die Person lebt nicht mehr. Sie ist vom Hochhaus gefallen. Da kann man nichts mehr machen. Sie brauchen sich also nicht zu beeilen.“

„Woran können Sie das so genau erkennen? Sind Sie Arzt?“, wurde Karl gefragt.

„Nö, aber der große Blutverlust und der unnatürlich verrenkte Körper, das leblose einzige erkennbare Auge in einem ansonsten unkenntlichen Gesicht lassen für mich diesen offensichtlichen Schluss zu.“

„Egal, wir schicken trotzdem einen Notarztwagen. Fassen Sie nichts an und halten Sie weitere Schaulustige von dem Ort fern.“

„Das wird mir schwer gelingen. Mir wird etwas flau und ich gehe lieber wieder rein, um mir einen zu genehmigen, vermutliche einen Doppelten.“

Die Verbindung wurde unterbrochen, Karl ging zurück in das Lokal und brüllte: „Zwei doppelte Cognac für mich und meinen Freund!“

Die flotte Bedienung schien aus einer Art Schockstarre zu erwachen. Der Mann hinter der Bar griff nach den Gläsern, füllte sie randvoll und mit geübtem Schwung landeten sie gleich darauf nebst Servicetablett auf dem Tisch der beiden Freunde.

„Auf uns“, sagte Karl und der blässliche Hermann nickte nur, stürzte den Trank mit einem Schluck herunter, lief rot an, rang kurz nach Luft und wartete, bis die scharfe Flüssigkeit sich wohlig in seinem Magen ausgebreitet hatte.

„War das nun ein Mord oder ein Selbstmord?“, fragte Karl und Hermann schüttelte sich kurz, bevor die Färbung seines Gesichts wieder auf sein normales Farbspektrum eingependelt war.

 

Die beiden waren, wie es so schön heißt, „alte Sandkastenfreunde“. Der Zahn der Zeit hatte nicht nur an ihnen, sondern auch an dem neuen Hansaviertel der Internationalen Bauausstellung von 1957 genagt. Beide waren hier groß geworden und damit zu einem Teil der Hanseatengemeinde geworden. Mit ihren gut 50 Jahren standen sie jeweils auf dem Scheitelpunkt ihrer Karriere. Hermann Schneider, der Architekt, war eher klein und gedrungen. Seine 85 Kilo verteilten sich höchst unfair über seinen nur 1,56 Meter langen Körper und konzentrierten sich besonders um die Hüfte. Seine grauen Kopfhaare waren inzwischen zu einer Halbglatze geschrumpft. Diesen Verlust versuchte er mit einem gepflegten Vollbart auszugleichen. Das Haargeflecht begann am Kinn weiß und wurde zu den Schläfen hin immer dunkler. In nachdenklichen Momenten bildete seine rechte Hand mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, mit dem er dann über das kinnverlängernde Bartende strich. Mit zunehmendem Alter war er ruhiger und scheinbar auch gelassener geworden. Er konnte aber auch erstaunlich flink seine gedrungenen Proportionen bewegen und die kräftige Stimme über die von ihm gerade betreute Baustelle tönen lassen.

Der freie Journalist und Autor Karl Hecht hingegen wog zwar ebenfalls 85 Kilo. Diese hingegen verteilten sich auf 1,85 Meter. Seinen kleinen Bauchansatz versuchte er mit einem über der Hose hängenden Strickhemd zu kaschieren. Sein volles dunkelhaariges Haupthaar trug er etwas länger und band es ab und an zu einem praktischen Stummelzopf. Sein Humor hatte sich inzwischen in den Lachfältchen um Mund und Augen unauslöschlich eingeprägt. Im Gegensatz zu Hermann hatte er eine eher leise, differenziertere Stimme, die er in den unterschiedlichsten Tonlagen bei Plaudereien und Diskussionen spielen ließ. Er war gerade wieder Junggeselle geworden. Nach zehn Jahren hatte sich seine Freundin von ihm, dem unsteten Künstler, getrennt. Seine Recherchereisen, der unregelmäßige Tagesrhythmus, Karls sprunghaft assoziative Themenwechsel und ihr Wunsch nach einer intakten Familie mit Kindern hatte, so vermutete er, den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben. Sie war 15 Jahre jünger als er und hatte einen neuen Partner in ihrem Alter gefunden. Natürlich hatte Karl diese Trennung bedrückt. Andererseits fühlte er sich auch von einer drohenden Verpflichtung befreit. Das Gefühl, dass auch sein Leben nicht unendlich sein würde, war nach einer Indienreise besonders deutlich geworden. Dort hatte man ihm mehrmals das hinterhältige Kompliment gemacht, dass er für sein Alter doch noch sehr jung aussähe.

 

Ein ca. 30-jähriger Mann in Sportschuhen, mit schwarzen Jeans und dunkler Kapuzenjacke stieg aus dem Fahrstuhl des Hochhauses. Unbemerkt verließ er das Gebäude, ging schnell an dem Jägerzaun entlang und verschwand mit einem Sprung über die angehäuften Äste zwischen den Büschen und Bäumen des großen Tiergartens. Auf dem Weg nahm er den Vollbart und die verspiegelte Sonnenbrille ab, zog die Jacke aus und wendete sie.

 

Karl und Hermann waren einfach sitzen geblieben und bestellten sich, nachdem sie ihre Weingläser relativ schnell geleert hatten, zwei neue. Wo hatten sie schon die Chance, die Arbeit der Polizei nach dem Tod eines Menschen so hautnah durch die große Scheibe beobachten zu können? Natürlich wurde spekuliert. Karl stellte als erster die Frage nach dem Motiv für diesen Absturz. War es nun ein Suizid oder gar ein Mord? Ist er gesprungen oder wurde er gestoßen? Aus welchem Stockwerk? Die letzte Frage wurde schnell beantwortet. Da die inzwischen eingetroffene Polizei keine Besucher mehr in das Restaurant ließ, die wenigen Gäste aber gebeten waren, als Zeugen das Lokal nicht zu verlassen, luden die beiden Senioren ihre geschätzte Kellnerin zu einem Glas an ihren Tisch. Eigentlich hatte sie bereits Feierabend, aber nun war sie hier festgenagelt und plauderte gern noch ein wenig mit den beiden Freunden.

Ja, sie kannte den jungen Mann.

Karl fragte sofort nach: „Wie können Sie den so einfach erkennen?“

„Na, an der Kleidung, Größe und so. Er wohnte im 10. Stock und besuchte seit gut einer Woche öfter das Lokal. Erst gestern Abend war er mit seiner Freundin hier zum Essen gewesen. Ganz frisch verliebt und äußerst glücklich schienen sie zu sein. Dort hinten in der Nische auf der Eckbank haben sie gesessen, fast schon eng miteinander verknotet. Ich habe mich kaum getraut, nach weiteren Wünschen zu fragen, wollte dieses zärtliche Glück nicht stören“, erzählte die Kellnerin.

„Das klingt ja nun wirklich nicht nach Selbstmord“, meinte Hermann zu seinem Freund, nachdem die Kellnerin wieder gegangen war.

„Oder erst recht nach wilder Leidenschaft und Verzweiflung“, gab der Politologe und Journalist Karl zu bedenken.

„Du immer mit deinen Räuberpistolen“, grummelte Hermann und erhob sein Glas. „Auf einen guten Flug in die höheren Sphären.“

Karl stieß mit an und erhob ebenfalls den Blick nach oben zu einer imaginären Welt.

„Sie hat gesagt, dass der Tote im 10. Stock gewohnt hat“, setzte Karl die Gedanken zu den Todesumständen fort.

Ein Sturz aus dieser Höhe ist mit Sicherheit tödlich, sowohl für einen Selbstmordkandidaten als auch für einen erfolgreichen Mord. Die Neugier von Hermann und der journalistische Eifer von Karl waren geweckt. Dieser Tote von gleich nebenan, er sollte die beiden bis in ihre Träume der folgenden Nacht und darüber hinaus weiter verfolgen.

 

 

 

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© Thilo Geisler